"Ohne deine Zustimmung kann dir niemand das Gefühl geben, minderwertig zu sein." - Eleanor Roosevelt
- Julia Binder
- 10. Okt. 2021
- 4 Min. Lesezeit

Wenn du deinen Wert nicht erkennen kannst, wie soll es ein anderer tun können?
Was denkst du über dich, wenn du morgens in den Spiegel schaust? Bist du zufrieden und glücklich, mit dem Menschen, der dir entgegenblickt, oder denkst du dir, er/sie müsste doch schöner/besser/erfolgreicher/... sein?
Leider verbringen viele von uns einen Großteil ihrer Zeit mit Selbstzweifeln, mit der Frage, ob sie "(gut) genug" sind. Genug für wen? ... vermutlich für "die anderen" - doch wer stellt sich in dem Rahmen tatsächlich die Frage "Bin ich denn (gut) genug für mich?"
Auch ich habe lange Zeit damit zugebracht, mich nicht - und wenn, dann nur ein klein wenig - zu mögen, doch war mir das nicht wirklich bewusst. Gerne habe ich das auf meine Vergangenheit geschoben - auf meine Schulzeit, wo ich nun wirklich nicht beliebt war. Ich war die Streberin, die Brillenschlange, ... kurzum, die Unbeliebte, und damit kein Teil der "Coolen". Dieses Urteil meiner Außenwelt bekam ich leider nicht nur wörtlich zu spüren und damit sackte meine Selbstliebe in der Zeit in die tiefsten Untergründe.
Im Alter von 6 bis 11 Jahren wird ein Kind in hohem Maße von seinem sozialen Umfeld geprägt. Das zuvor im (zumeist) geschützten Zuhause geprägte Selbstbild wird abgeglichen mit dem Feedback von außen: Kann das Kind draußen "ohne die Eltern" bestehen? Fühlt es sich in der Lage, die ihm gestellten Aufgaben zu bewältigen? Wird es für seinen Einsatz gewürdigt? Nach und nach entwickelt das Kind ein Gefühl von Selbstwert - und wie dieses ausfällt, wird maßgeblich von seiner sozialen Umwelt beeinflusst.
Was bedeutete das also für die kleine Julia? Die kleine Julia lernte sehr früh, dass die Person, die zuhause gerne angesehen war (die Strebsame, Brave, Leistungsstarke), in der Schule so gar nicht beliebt war und wusste damit nicht wirklich, was sie zu tun hatte, um dazugehören zu dürfen - denn sie hatte es ja nicht anders gelernt... Es schien beinahe so, als würden alle Aktivitäten der kleinen Julia, alles, was sie sagte, "die Coolen" nur noch mehr anstacheln und den Hass in ihnen verstärken - was mich zumindest, was meine Mitschüler betraf, in eine tiefe innere Einsamkeit stürzte. Nun war es aber auch nicht so, dass keiner die o.g. Charakteristika schätzte - nein, die Lehrer fanden das ganz toll. Sogar so toll, dass die kleine Julia gemeinsam mit den Lehrern Schularbeiten verbesserte und sich dadurch sehr besonders fühlte (was sicherlich auch keine heiße Liebe zu mir in meinen Klassenkollegen entfachte...).
Wie ging es dann weiter? Nun, ich nahm ein Gefühl, einen Glaubenssatz mit, der mir täglich sagte, dass mein schlichtes Sein, mein "echtes Selbst" für mein soziales Umfeld störend ist und entwickelte - neben einer langen Phase des Spielens unterschiedlichster Rollen, um Anschluss zu finden - eine gewisse innere Zurückgezogenheit. So wurde in mir die Idee geboren, ja nicht unangenehm auffallen zu wollen, um nicht von meiner Umwelt verstoßen zu werden. Und als ich mich so verglich, mit den anderen um mich herum, schien es mir immer, als wären sie "besser", als hätten sie "mehr erreicht", wären "glücklicher" etc. - nur ich scheinte es irgendwie nicht auf die Reihe zu kriegen. // Wenn ich das heute so lese, während ich schreibe, denke ich mir, dass ich mich wohl für sehr besonders gehalten haben muss, um zu denken, dass nur ich so besonders bin, dass ich "es nicht auf die Reihe kriege" - ich allein, alle anderen nicht ;)
Und so versuchte ich es mit mehr und mehr Anstrengung, denn ich hatte ja gelernt, dass ich durch Leistung durch die Erwachsenen (Familie, Lehrer, etc.) zumindest Zustimmung erfuhr. Der Aspekt der Leistungsstärke und der Glaube, dass diese nicht mit (Massen-)Zugehörigkeit vereinbar wäre, führte übrigens vereinzelt dazu, dass ich eine innere Überheblichkeit entwickelte (quasi als Überlebensmechanismus), die mir sagte, dass ich in irgendeiner Art anders/besonders (an manchen Tagen sogar besser als andere) wäre, was wiederum meinen Wunsch nach und meine Idealisierung der Sonderstellung bestärkte. Ihr könnt euch wahrscheinlich vorstellen, dass auch das meiner sozialen Zugehörigkeit nicht gerade dienlich war...
Blöderweise waren all meine Strategien (Mehr-Leistung, Sonderstellung, Rollen-Spielen, Nicht-Auffallen) alle nicht wahnsinnig erfolgreich und nach vielen Jahren fühlte ich mich auch in Gesellschaft immer noch alleine und unverstanden.
Bis zur Mitte meiner 20er war ich zudem der festen Überzeugung, dass die "böse Außenwelt" schuld sei an meinem mangelnden Selbstwertgefühl - bis ich während einer Therapiesitzung eines besseren belehrt wurde. In den ersten Phasen eines Burnouts unterwegs wollte ich alles, nur nicht aufhören müssen, zu arbeiten. Da fragt sich vielleicht so mancher, woher das kommt, wenn da ein Mensch sitzt, der an seinen letzten Kräften zehrt... Nach ein paar Gesprächen gelangten wir an den Kern der Sache: Nämlich, dass ich meinen Selbstwert allein durch meine Leistung definierte und überhaupt nicht wusste, wer ich ohne Leistung bin, geschweige denn, was ich oder jemand anderer an mir lieben sollte, wenn ich "nicht mehr leiste"... // Auch wenn dieser Teil meines Lebens hinter mir liegt, fühle ich noch den Schmerz, der in diesen Zeilen liegt...
Schreibe und lese ich das heute, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Nachdem ich an mir nichts Liebenswertes finden konnte, nicht wusste, warum mich überhaupt jemand mögen oder lieben sollte, war Zuspruch, Bestätigung und Liebe von Außen für mich lange äußerst unangenehm und unverständlich - so sehr, dass ich die Zuneigung abwimmelte oder meine sozialen Beziehungen sabotierte, um mich nicht mit meiner mangelnden Selbstliebe konfrontieren zu müssen.
Und genau das verbinde ich mit dem heutigen Blog-Zitat von Eleanor Roosevelt: "Ohne deine Zustimmung kann dir niemand das Gefühl geben, minderwertig zu sein." - Ich habe lange zugestimmt oder mich oft sogar minderwertiger gesehen als mein Umfeld das tat. Und dadurch war ich lange distanziert, lange einsam und lange gefühlt ungeliebt. ... bis ich anfing, an meinem Selbstwert zu arbeiten, ihn zu erkennen und mich mit all meinen Ecken & Kanten zu lieben. Seitdem ist die Welt bunter, das Leben fröhlicher, die Liebe um mich und in mir größer und stärker (und von Minderwertigkeit keine Spur) :)
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